KARSTKALT – Fall 3: Blut am Galgenberg
Der Wind trieb kalte Böen über den Höhenrücken. Blätter raschelten, Äste knackten. Über Waischenfeld ragte der Galgenberg auf – ein Hügel, auf dem seit Jahrhunderten kein Haus stand. Nur der knorrige Baum, mit tiefen Rillen in der Rinde, als hätte er mehr getragen, als seine Äste jemals hätten tragen dürfen.
Kommissar Lorenz Vogl stand neben dem Absperrband. Blaulicht flackerte, warf lange Schatten über den Stamm. Er fröstelte – und nicht nur wegen der Kälte. Der dritte Tatort in so kurzer Zeit. Und wieder dieser rote Faden.
„Chef?“ Sailer kam auf ihn zu, die Stirn in Falten. „Die Grabungsfirma hier hat Knochen gefunden, dachten sie hätten alte Tierknochen ausgegraben. Aber dann… na ja, sehen Sie selbst.“
Sie gingen zur Grube. Zwischen Erdschichten ragten menschliche Knochen hervor, daneben ein Stück blutdurchtränkter Stoff, noch frisch.
Vogl kniete sich hin. „Alt und neu. Jemand legt das bewusst zusammen. Wie bei einem Puzzle.“
„Oder wie bei einer Aufführung,“ warf Sailer ein.
Vogl warf ihm einen Blick zu. „Ein Theaterstück, meinst du? Alte Geschichte, neue Opfer?“
Sailer nickte nervös. „Es wirkt jedenfalls so. Und wissen Sie, was komisch ist? An den Knochen – kein Sarg, keine Grabspuren. Eher… naja, oberflächlich verscharrt.“
„Wie jemand, der keine Ruhe finden sollte,“ murmelte Vogl.
Sie wurden unterbrochen, als ein älterer Mann mit Mütze am Absperrband auftauchte. „Herr Kommissar? Ich… ich hab da was gesehen.“ Seine Stimme zitterte.
„Kommen Sie näher, aber bleiben Sie ruhig“, sagte Vogl. „Was genau haben Sie gesehen?“
„Gestern Nacht. Fackeln. Bestimmt drei, vier Stück. Direkt am Baum. Und ich hörte Schritte. Nicht leicht, sondern schwer, wie… wie wenn einer in Ketten geht.“
Vogl musterte ihn scharf. „Haben Sie Gesichter erkannt?“
„Nein. Nur Schatten. Und…“ Er stockte. „Einer hat gesungen. Ganz leise. So ein altes Kirchenlied.“
Sailer riss die Augen auf. „Ein Kirchenlied?“
„Ja. Dies irae… ich kenn das noch aus der Jugend.“
Vogl notierte sich den Hinweis. Fackeln. Schritte. Ein Lied, das von Gericht und Strafe erzählt. Kein Zufall.
Er ging zum Baum. Am Stamm klebte ein Zettel, mit einem rostigen Nagel befestigt. Die gleiche krakelige Schrift wie zuvor:
„Die Schuldigen schweigen nicht. Sie stehen wieder auf.“
„Er war wieder hier,“ murmelte Vogl.
„Chef, das ist doch ein direkter Bezug auf Hinrichtungen,“ sagte Sailer leise. „Die Toten sollen reden.“
„Oder jemand will, dass wir glauben, sie tun es.“ Vogl drehte sich zu ihm. „Und schau dich um – warum ausgerechnet der Baum? Der letzte, der hier auf dem Galgenplatz noch steht. Als wollte er uns zeigen: Ich kenne eure Geschichte besser als ihr selbst.“
Sailer nickte, trat näher. „Aber warum das Blut? Die Knochen reichen doch schon, um Panik auszulösen.“
Vogl antwortete nicht sofort. Er strich mit der Hand über die Rinde, spürte die rauen Kerben. Als wäre hier tatsächlich ein Strick eingewachsen. Dann sagte er: „Weil er will, dass wir nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden können. Alte Knochen, frisches Blut – wer darüber nachdenkt, kommt ins Straucheln. Und während wir rätseln, plant er den nächsten Schritt.“
Ein Windstoß ließ die Äste ächzen wie Seile. Beide schauten gleichzeitig hoch. Für einen Moment wirkte es, als hinge ein Schatten in den Zweigen.
„Haben Sie das gesehen?“ fragte Sailer, die Hand an der Waffe.
„Ja. Aber wir beide wissen, dass es nur der Wind war.“ Vogl zwang sich zur Ruhe. Oder doch nicht?
Er wandte sich ab. „Sichern Sie alles. Jeden Knochen, jede Faser. Und reden Sie mit niemandem über Gesänge oder Geister. Die Presse würde uns zerreißen.“
Doch während er den Hang hinunterging, hörte er in seinem Inneren noch immer die Melodie nachklingen. Dies irae. Tag des Zorns.
Und er wusste: Der Täter hatte es bewusst gewählt.
Es war keine einfache Botschaft.
Es war eine Drohung.
Und dies war erst der dritte Akt...
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Sonntag, 5. Oktober am Abend - Der Strick der Wahrheit
Der Brief im Nebel
Es war kurz nach Mitternacht, als Vogl endlich nach Hause kam und die Haustür Zuhause aufschloss.
Der Wind kam vom Norden, trieb feuchte Kälte durchs Land.
Im Licht der Veranda flackerte etwas Weißes im Briefkasten.
Ein Umschlag. Kein Absender. Nur sein Name.
„Kommissar Lorenz Vogl“ – mit einer Tinte geschrieben, die leicht verlaufen war, als hätte jemand mit kalten Händen geschrieben.
Drinnen, auf dem Küchentisch, öffnete er den Brief vorsichtig.....
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Samstag, 11. Oktober - Kommissar Vogl hatte sich ein paar Tage freigenommen.
Nicht, weil er wollte – sondern weil er musste. Der Brief in seinem Briefkasten hatte ihn aus der Bahn geworfen. Kein Absender. Nur ein vergilbter Umschlag, mit Tinte geschrieben:
„Es war nicht der Erste.“
Drinnen: ein Foto.
Der Galgenberg. Und direkt darunter – ein Stück Seil, blutverkrustet.
Er hatte versucht, das als schlechten Scherz abzutun. Aber dann kamen die Knochen.
Die Knochen vom Galgenberg stammten nicht, wie zunächst vermutet, aus dem 19. Jahrhundert. Die Rechtsmedizin stellte fest: menschlich, männlich, etwa 30 Jahre alt. Der Tod lag höchstens fünf Jahre zurück.
Ein Teil der Knochen wies tiefe Kerben auf – als hätte jemand versucht, sie nachträglich zu beschädigen oder Spuren zu verwischen.
Im Erdreich fanden sich zudem Spuren von Kalk und alten Nägeln – Überreste eines einfachen Holzsarges. Doch niemand wurde dort offiziell bestattet.
Der Brief war also kein Zufall.
Jemand wusste, was dort lag. Und jemand wollte, dass er – Vogl – es findet.
Die Schrift auf dem Umschlag passte zu einem alten Fall aus seiner Anfangszeit: Waischenfeld 2017 – vermisster Bauarbeiter Franz Kluge.
Nie gefunden. Nie abgeschlossen.
Und genau dieser Name stand auf der Rückseite des Fotos.
Vogl war noch eben bei einem alten Kollegen aus seiner Zeit in Nürnberg, einer der wenigen der er wirklich Vertraute. Nun saß er da in Nürnberg, sehr nachdenklich am Tresen in der BAR CELONA und überlegte wie es weitergeht...
Fortsetzung...